6.12.18 – MERLIN UND MONA Der blaue Edelstein

DER BLAUE EDELSTEIN

Wieder stehen wir im Rat der Zwerge. „Jetzt ist es soweit. Da ist kein Widerstand mehr. Sie ist frei von allem Eige- nem, bis hierhin ist es vollbracht. Der nächste Schritt kann getan werden, meine Freunde. Ich danke euch für eure Gastfreundschaft, für eure Hilfe, für euren Schutz. Danke dafür, dass ihr uns euer Land zur Verfügung gestellt habt, ihr Hüter der Erde.“

Die Zwerge verneigen sich schweigend. Und Myrddin? Was macht er? Er nimmt mich mit auf einen hohen Berg – auf eine hohe Warte. Da stehe ich in meinem weißen Kleid, die Arme hochgereckt – um mich herum leuchten- de Schwärze – unter mir ein blauer Edelstein von einem Meister geschliffen, die Erde. Mein Herz zieht sich zusammen vor Andacht und wehmütigem Schmerz bei diesem Anblick. Da sehe ich noch etwas. Die Erde wird umspielt von fünf geflügelten Schlangen. Fünf goldengrüne Flugschlangen umtanzen die Erde. Sie bewegen sich nach einem fein tönenden Klang, umschlingen sich, streben auseinander, um sich wieder zu verbinden. Sie berühren die Erde nicht. Sie ist ein kostbarer Ball, eine schimmernde Perle, um den sich der Tanz der fünf dreht. Die Erde ist ihr Heiligtum – ihr kostbarstes Gut – sie ist ihr Herz. Sie sind mit ihr verbunden. Die Erde lebt durch sie und sie durch die Erde. Ich wünsche mit jeder Faser meines Körpers, dass dieser Tanz nie enden möge. „Oh, glaub es mir, er wird enden“, erschallt dumpf die Stimme Myrddins. Vor meinen Augen verblasst der goldene Lichterglanz der Geflügelten und mit ihm das Blau der Erde. Blass und ohne Strahlkraft schwebt sie entfärbt im All. Klagend verschwimmen die Schlangen und lösen sich vor meinen entsetzten Blicken auf. Ihr ersterbender Ruf schneidet sich tief in mein Herz hinein. Und wieder sitze ich mit Myrddin unter der alten Eiche. Mein Herz weint.

„Myrddin, wo sind sie hin, diese Herrlichen? Was ist mit ihnen geschehen, wo sind sie geblieben, wo? „Geh hinein durch viele Schichten, tief und tiefer steig hinab. Nimm dein Schwert in deine Rechte. Schau dir selbst ins Angesicht. Schlag dir dann die Köpfe ab. Töte deine Kleinheit, dass die Kraft in dir erwacht, dass der Drache aufersteht in dir – als DU. Steig hinein in dich, ganz tief hinunter, lass den Drachen in dir frei. Er ist in dir ganz tief verborgen. Er liegt da unterdrückt. Wenn du ihn ans Licht gelassen, dann erst bist du selber frei.“

Dumpf und klagend erschallen die Worte Myrddins in meinem Inneren. Er lehnt an dem rauen Stamm der Eiche und ich kauere vor ihm auf dem Boden. Wie lange sitzen wir schon hier? Ist es Tag, ist es Nacht? Ich weiß es nicht. Alles um mich herum ist versunken, nur seine Augen halten mich fest. Sie lassen mich nicht los. Mit eisernen Klammern bin ich an sie gebunden. Ohne zu blinzeln starren wir uns an. Seine Augen fangen an zu pulsieren und strömen als riesige Meereswogen auf mich zu, begraben mich unter sich und spülen mich mit sich fort. Rhythmisch wie das Rauschen des Meeres, so braust und verebbt seine Stimme in mir.

„Geh hinein durch viele Schichten,
tief und tiefer steig hinab.
Nimm dein Schwert in deine Rechte.
Schau dir selbst ins Angesicht.
Schlag dir dann die Köpfe ab.
Töte deine Kleinheit, dass die Kraft in dir erwacht, dass der Drache aufersteht in dir – als DU. Steig hinein in dich, ganz tief hinunter,
lass den Drachen in dir frei.
Er ist in dir ganz tief verborgen.
Er liegt da unterdrückt.
Wenn du ihn ans Licht gelassen,
dann erst bist du selber frei.“

„Der Autorin RG gelingt es auf eindrückliche Art und Weise, in die Tiefen des menschlichen Daseins einzudringen“

Rezension: Florian Ebering

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